Rolle des Bürgermeisters und der Gemeinderatsmitglieder in Rheinland-Pfalz


Einleitung

Kommunalpolitik ist die erste Adresse der Demokratie: Hier begegnen sich Bürgerinteressen, staatliches Handeln und gelebte Selbstverwaltung direkt vor Ort – ob bei der Frage nach der Kita-Erweiterung oder beim Streit über den neuen Bebauungsplan. In Rheinland-Pfalz regelt die Gemeindeordnung (GemO RLP), wie sich die Zuständigkeit zwischen dem Bürgermeister und dem Gemeinderat verteilt.

Doch während die Rollen formal klar definiert sind, zeigt sich in der politischen Praxis oft ein Spannungsfeld: Wer hat das Sagen? Wer darf kontrollieren – und wer muss sich zurücknehmen? Der folgende Beitrag analysiert die Rollenverteilung differenziert, zeigt typische Konfliktlinien auf und benennt sowohl rechtliche Grundlagen als auch praktische Herausforderungen.


Gesetzlicher Rahmen: Die Gemeindeordnung Rheinland-Pfalz

Die GemO RLP ist das zentrale Regelwerk für das kommunale Handeln. In Ortsgemeinden (also nicht Verbandsgemeinden oder Städten) beschreibt sie folgende Grundstruktur:

  • Der Gemeinderat (§§ 30–39 GemO) ist das Hauptorgan der Willensbildung.
  • Der Bürgermeister (§§ 49–53 GemO) ist sowohl Organ der Gemeindeverwaltung als auch Vorsitzender des Rates.

Beide sind Teil der sogenannten „dualen kommunalen Leitung“ – ein bewusstes Gleichgewicht zwischen gewähltem Rat (kollektives Organ) und gewähltem Bürgermeister (Einzelperson mit Amtsgewalt).


Die Rolle des Bürgermeisters: Chef, Vermittler, Verwaltungsspitze

🔹 1. Rechtliche Stellung

Der Bürgermeister ist:

  • Leiter der Gemeindeverwaltung (§ 50 GemO RLP)
  • Repräsentant der Gemeinde
  • Vorsitzender des Gemeinderats (§ 36 Abs. 1 GemO RLP)

Das bedeutet: Er führt die Geschäfte der laufenden Verwaltung, bereitet die Sitzungen vor, vollzieht die Beschlüsse des Rates und repräsentiert die Gemeinde nach außen.

🔹 2. Machtposition durch Doppelrolle

Der Bürgermeister sitzt nicht nur am Sitzungstisch – er bereitet ihn auch vor. Diese Doppelfunktion bietet Einflussmöglichkeiten:

  • Informationsvorsprung durch Verwaltungsleitung
  • Einfluss auf Tagesordnungen
  • Sitzungsleitung mit Ordnungsgewalt
  • Antragsrecht

Zugleich darf er nicht frei agieren: In Grundsatzfragen und über wesentliche Angelegenheiten entscheidet allein der Rat. Der Bürgermeister muss umsetzen – nicht anordnen. Und doch zeigt die Realität: Wer die Verwaltung lenkt, lenkt oft auch die politischen Spielräume.

🔹 3. Kritischer Blick

Trotz des Gleichgewichts in der Theorie entsteht faktisch eine Machtasymmetrie, insbesondere in kleinen Gemeinden:

  • Bürgermeister sind häufig „Allrounder“, manchmal informell „Chef von allem“.
  • Gemeinderäte sind oft Laien, ehrenamtlich tätig, mit begrenzter Zeit und Ressourcen.
  • Verwaltungsvorlagen prägen oft das Entscheidungsverhalten – wer sie schreibt, hat Einfluss.

Ergebnis: Der Bürgermeister kann zum dominanten Akteur werden, wenn Ratsmitglieder nicht aktiv gegensteuern.


Die Rolle der Gemeinderatsmitglieder: Freie Mandatsträger zwischen Mitbestimmung und Marginalisierung

🔹 1. Aufgaben und Rechte

Der Gemeinderat ist das Hauptorgan der Gemeinde (§ 30 Abs. 1 GemO). Seine Mitglieder entscheiden über:

  • Satzungen, Haushaltspläne, Investitionen
  • Bauleitplanung und Grundstücksgeschäfte
  • Personalangelegenheiten (soweit nicht delegiert)

Die Ratsmitglieder sind ehrenamtlich tätig (§ 20 GemO) und üben ihr Amt als freies Mandat (§ 30 Abs. 2 GemO) aus. Sie sind nicht weisungsgebunden – weder gegenüber Parteien, Fraktionen noch dem Bürgermeister.

🔹 2. Pflichten

  • Verschwiegenheit (§ 20 Abs. 3 GemO) über nicht-öffentliche Inhalte
  • Teilnahmepflicht an Sitzungen
  • Mitwirkung in Ausschüssen
  • Vermeidung von Interessenkonflikten

🔹 3. Strukturelle Schwäche

Trotz ihrer starken Stellung auf dem Papier sehen sich viele Ratsmitglieder machtlos oder überfordert. Gründe:

  • Unklare Informationslage: Ohne Zugriff auf Verwaltungsdaten sind viele Entscheidungen nicht nachvollziehbar.
  • Komplexe Vorlagen: Haushaltspläne oder Bauleitplanungen sind schwer verständlich ohne Vorkenntnisse.
  • Dominanz der Verwaltung: Der „Flurfunk“ der Verwaltung kennt die Hintergründe – Ratsmitglieder nicht.

Kritikpunkt: Ohne gezielte Schulung, Vorbereitung und interne Kommunikation drohen Ratsmitglieder zu „Abnickern“ zu werden – obwohl sie laut Gesetz das zentrale Organ der Gemeindepolitik sind.


Spannungsfeld: Zusammenarbeit oder Machtkampf?

Der ideelle Entwurf lautet: Der Gemeinderat entscheidet – der Bürgermeister führt aus. Doch in der Praxis:

  • Bürgermeister dominieren oft durch Sachkompetenz, Netzwerke, Dauerpräsenz.
  • Räte fühlen sich informell unter Druck gesetzt, wenn sie abweichende Meinungen vertreten.
  • Appelle an „loyale Zusammenarbeit“ werden teils als Maulkörbe empfunden – vor allem, wenn sie mit Druck verbunden sind.

Dabei sind kritische Stimmen demokratisch wertvoll – ein Gemeinderat lebt von Meinungsvielfalt, nicht von Geschlossenheit um jeden Preis.


Fazit: Balance ist möglich – aber nicht selbstverständlich

Die Rollenverteilung zwischen Bürgermeister und Gemeinderat in Rheinland-Pfalz ist verfassungsrechtlich ausbalanciert, aber praktisch konfliktanfällig. Damit das System funktioniert, braucht es:

  1. Selbstbewusste Ratsmitglieder, die sich einarbeiten, hinterfragen und auch mal unbequem sind.
  2. Transparente Bürgermeister, die Beteiligung ernst nehmen und Macht nicht durch Informationshoheit ausspielen.
  3. Kultur des Respekts, in der auch Minderheitsmeinungen Platz haben und offene Debatten nicht als illoyal gelten.

Demokratie lebt vom Diskurs, nicht vom Durchregieren. Die Gemeindeordnung gibt das Werkzeug an die Hand – genutzt werden muss es vor Ort. Und Guckheim wäre nicht der schlechteste Ort, um das zu zeigen.