Wie Ortsgemeinden mit einer Verkehrsschau konkrete Verbesserungen anstoßen können
Es ist eine Szene, die Dörfer an vielbefahrenen Landesstraßen nur allzu gut kennen: Morgens drängen sich Autos Stoßstange an Stoßstange durch die engen Ortskerne, den ganzen Tag und auch nachts donnern schwere Lkw im Minutentakt durch die Kurven, und am späten Nachmittag balancieren Eltern mit ihren Kindern zwischen parkenden Autos über die Straße – ohne Zebrastreifen, ohne Ampel, ohne Schutz. Die Lebensrealität im Dorf steht oft in starkem Kontrast zu einer Verkehrslage, die eher an eine Transitroute erinnert als an einen lebenswerten Wohnort.
Aber was tun, wenn Lärm, Luft und Lastwagen überhandnehmen? Wenn Kurven so eng sind, dass lange Fahrzeuge regelmäßig den Gehweg überfahren – und trotzdem niemand einschreitet? Ein unterschätztes, aber wirkungsvolles Instrument heißt: Verkehrsschau.
Verkehrsschau – mehr als ein Ortstermin
Was zunächst nach einem reinen Ortstermin klingt, ist tatsächlich ein juristisch klar umrissenes Verfahren. Die Verkehrsschau ist kein Verwaltungsakt, sondern ein internes Abstimmungsinstrument der Straßenverkehrsbehörde. Ziel ist es, sich ein objektives Bild vor Ort zu verschaffen – und auf dieser Grundlage spätere Maßnahmen wie Tempo-30-Zonen, Durchfahrtsverbote für Lkw oder sichere Querungshilfen sachlich vorzubereiten. Grundlage dafür bildet § 45 der Straßenverkehrsordnung (StVO).
Wichtig ist: Die Ergebnisse der Verkehrsschau haben zwar keine rechtliche Außenwirkung, fließen aber maßgeblich in spätere Anordnungen ein. Sie sind also der Grundstein jeder fundierten verkehrsrechtlichen Entscheidung.

Wann ist eine Maßnahme gerechtfertigt?
Die Hürden für Eingriffe in den Straßenverkehr sind hoch. Die StVO verlangt – außerhalb von Schutzbereichen wie Schulen oder Kitas – eine konkrete örtliche Gefahrenlage. Dazu zählen unter anderem dokumentierte Unfälle, hohe Verkehrsbelastung, schlechte Sichtverhältnisse oder gefährliche Linienführungen. Auch Lärm, fehlende Querungsmöglichkeiten oder der Schulweg können eine Rolle spielen. Voraussetzung für jede Anordnung ist ihre Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit. Willkür ist ausgeschlossen.
So bringt die Gemeinde das Verfahren ins Rollen
Eine Verkehrsschau wird nicht automatisch anberaumt. Die Initiative liegt bei der Gemeinde, die den Antrag an die zuständige Straßenverkehrsbehörde stellt – in Rheinland-Pfalz in der Regel die Kreisverwaltung. Entscheidend ist dabei nicht der Tonfall, sondern die Substanz: Der Antrag sollte sachlich darlegen, welche konkrete Gefahr besteht und welche Ziele mit einer Maßnahme verfolgt werden – etwa die sichere Querung im Bereich eines Wartehäuschens oder die Beherrschung von Engstellen durch zu breite Fahrzeuge.
Hilfreich sind dabei Fotos, Lagepläne, aktuelle Verkehrszählungen oder sogar Schleppkurvenanalysen. Auch die Dokumentation von Schulwegen oder besonderen Bedarfen, etwa durch Pflegeheime oder Haltestellen, stärkt das Anliegen. Ein Ratsbeschluss als politisches Mandat unterstreicht zusätzlich die Relevanz.
Wer steht vor Ort – und wer nicht?
Bei der Verkehrsschau selbst treffen sich verschiedene Akteure: die Straßenverkehrsbehörde, Vertreter der Polizei, der zuständige Baulastträger – bei Landesstraßen in der Regel der Landesbetrieb Mobilität (LBM) – sowie die Gemeinde. Je nach Thema sind auch Schulträger oder ÖPNV-Anbieter beteiligt. Externe Gutachter oder Vertreter von Schule und Barrierefreiheit können hinzugezogen werden. Bürgerinitiativen haben keinen Anspruch auf Teilnahme, doch Stellungnahmen können in den Prozess eingebracht werden.

Was wird untersucht – und was nicht?
Bei der Verkehrsschau zählt das Konkrete. Wie breit ist die Straße tatsächlich? Wie eng die Kurven? Wie gut sind Markierungen zu erkennen? Welche Wege nehmen Kinder zur Schule oder Senioren zum Bus? Wo fehlt die Sicht auf den Verkehr? Die Gemeinde sollte hier mit präzisen Fallbeobachtungen punkten: etwa wenn Lkw regelmäßig auf den Gehweg ausweichen oder Kinder täglich an einer bestimmten Stelle ohne jede Sicherung queren.
Besondere Beachtung gilt Fußgängerüberwegen. Für sie gelten die R-FGÜ – technische Richtlinien, die unter anderem Verkehrsstärken, Querungsbedarf und Sichtweiten regeln. Wo ein klassischer Zebrastreifen nicht infrage kommt, können Mittelinseln, Gehwegvorstreckungen oder provisorische Lösungen helfen.
Technik schlägt Bauchgefühl
Gerade bei schwierigen örtlichen Gegebenheiten lohnt der Blick auf technische Nachweise. Eine Schleppkurvenanalyse kann zeigen, dass bestimmte Fahrzeuge baulich bedingt gar nicht anders können, als auf den Gehweg auszuweichen. Auch Unterschiede zwischen Sattelzügen, Anhängerzügen und Solofahrzeugen werden hier sichtbar – entscheidend sind reale Fahrzeugdimensionen, nicht bloße Annahmen.
Wichtig: Privatgutachten können eingebracht werden, höheres Gewicht haben jedoch standardisierte Verfahren und amtliche Regelwerke.
Und nach der Schau?
Nach dem Termin trifft die Straßenverkehrsbehörde eine selbstständige Entscheidung. Eine Maßnahme kann folgen, muss aber nicht. Die Gemeinde kann das Ergebnis nicht diktieren – wohl aber transparent dokumentieren. Das Protokoll der Verkehrsschau bildet dabei eine wichtige Grundlage, auch für spätere Förderanträge, etwa zur Schulwegsicherung oder Lärmminderung. Nach dem Landestransparenzgesetz Rheinland-Pfalz kann Einsicht beantragt werden, wenn keine Ausschlussgründe wie Datenschutz greifen. Teilschwärzungen sind üblich.
Wenn nichts passiert: Dranbleiben hilft
Bleibt eine Maßnahme trotz nachvollziehbarer Gefahrenlage aus, hat die Gemeinde zwei Wege: Sie kann die Fachaufsicht – in Rheinland-Pfalz regelmäßig den Landesbetrieb Mobilität – einschalten, um die Ermessensausübung der Behörde überprüfen zu lassen. Oder sie setzt auf politische Beharrlichkeit: erneute Anträge, Pilotversuche wie provisorische Querungshilfen oder gezielte Öffentlichkeitsarbeit.
Fazit: Die Gemeinde ist nicht machtlos
Auch wenn die Straße dem Land gehört – die Gemeinde kann steuern, anstoßen und dokumentieren. Mit klaren Zielen, belastbaren Daten und einem strukturierten Antrag wird aus dem diffusen Unmut über den Verkehr ein sachlicher Prozess. Die Verkehrsschau ist dabei nicht die Lösung – aber ein entscheidender Schritt dorthin.
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